„Der erste Schritt einer Arbeitszeitverkürzung ist uns gelungen. Doch das ist nicht alles!“
Andreas Laaber hat als betreuender Sekretär der GPA-djp den Kollektivvertrag der Caritas-Wien verhandelt. Den Betriebsräten Josef Wenda und Stephan Leicht steht er im Rahmen dieses Interviews Rede und Antwort.
Josef: Lieber Andreas! Du hast 2020 zusammen mit den nominierten Betriebsrät*innen zum zweiten Mal den Caritas-Kollektivvertrag bundesweit als strategisch Verantwortlicher ausverhandelt. Für alle Kolleg*innen, die dich nicht von den Betriebsversammlungen kennen, bitte ich dich um kurze Vorstellung.
Andreas Laaber: Ich bin seit 2017 Sekretär der GPA-djp und darf als solcher 24 Kollektivverträge verhandeln. Zuvor war ich Pastoralassistent und Betriebsrat der Diözese St. Pölten.
Stephan: Fangen wir mit dem Ergebnis der Kollektivvertragsverhandlungen an. Da fiel auf, dass die Caritas solidarisch mit den anderen großen Kollektivverträgen der Branche Gesundheit und Soziales – SWÖ und Diakonie – ein einziges Ziel verfolgt hat: Eine Arbeitszeitverkürzung. Bitte rücke dieses Ziel ins große Bild. Was bedeutet es aus Sicht der Gewerkschaft eine Arbeitszeitverkürzung für eine Belegschaft zu erringen?
Andreas Laaber: Arbeitszeit wird aufgrund technischer und sozialer Entwicklungen immer produktiver. Gerade im Sozialbereich ist dieser Zuwachs an Produktivität jedoch nicht nur einer fortschreitenden Technisierung zu verdanken, sondern vor allem einer Verdichtung der Arbeit für die Beschäftigten. Dies bringt zunehmende Belastungen für die Menschen mit sich. So ist in vielen Bereichen eine Vollanstellung von 38 Stunden nicht mehr ein ganzes Berufsleben lange lebbar. Normalarbeitszeit definiert sich aber aus der Leistbarkeit heraus. Daher muss sich im Sinne der Gesundheit die Normalarbeitszeit auf ein erbringbares Maß reduzieren. Oder anders gefragt: Wollen wir kaputt in die Pension gehen? Wollen wir Normalarbeitszeit, die nur von den Fittesten geleistet werden kann? Kann Arbeit eine „gute“ Arbeit sein, wenn sie nicht durchgehend in vollem Ausmaß erbracht werden kann?
Was jedenfalls nicht vergessen werden darf: In der Caritas hat eine Arbeitszeitverkürzung de facto längst stattgefunden. 70% arbeiten in Teilzeit bei durchschnittlich 28 Wochenstunden. Das Problem ist, dass dies ohne Lohnausgleich und damit auf Kosten der jeweiligen Arbeitnehmer*in geschieht, die damit Einkommenseinbußen erleiden. Nur durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich werden die Stunden mehr wert. So bedeutet für Teilzeitbeschäftigte die erreichte Verringerung der Normalarbeitszeit um 1 Stunde eine Anhebung der Gehälter um 2,7%. Das ist sehr wichtig. Von dieserArbeitszeitverkürzung profitieren alle. Und wer weiß, vielleicht schaffen wir durch weiterreichende Arbeitszeitverkürzungen, dass die Mehrheit der jetzt in Teilzeit Beschäftigten schließlich eine gesunde Vollzeit zu einem fairen Gehalt arbeiten kann.
Josef: Das klingt durchaus vernünftig. Auch gibt es Studien über Produktivitätszuwächse bei Firmen, die eine Arbeitszeitverkürzung für ihre Belegschaft umgesetzt haben. Warum sind zum Beispiel WKÖ und viele Dienstgeber so dagegen?
Andreas Laaber: Ich denke, das sind alte Denkmuster. Die Logik dahinter scheint zu sein: Wir haben einen Fachkräftemangel, also müssen diejenigen herhalten, die wir haben. Das heißt, die aktiven Fachkräfte dürfen ausbaden, wo die Wirtschaft oder Politik etwas versäumt hat, nämlich in der zeitgemäßen Anpassung von Arbeitsplätzen. Man kann das durchaus als ein nicht nachhaltiges Ausbeuten von immer begrenzteren Ressourcen verstehen. Das gilt sicherlich nicht pauschal, aber in den KV-Verhandlungen im Sozialbereich haben wir diese Argumentation immer wieder gehört. Dass es aber die auf Dauer überfordernden Arbeitszeiten sein können, die Menschen davon abhalten, in den Beruf (wieder-)einzusteigen, wird ausgeblendet. Von der Anzahl her hätten wir möglicherweise genug Pflegekräfte in Österreich, da stellt sich schon die Frage, warum man es nicht schafft, diese in den aktiven Beruf zu holen. Das wird man mit zu geringen Gehältern bei Teilzeitanstellungen und bei ausufernden Zeiten bei Vollanstellung nicht schaffen.
Josef: In welcher Form hat die Solidargemeinschaft der drei Kollektivverträge SWÖ, Diakonie und Caritas ihr Ziel der Arbeitszeitverkürzung nun erreicht?
Andreas Laaber: Aus der anvisierten 35-Stunden-Woche ist eine 37-Stunden-Woche ab 2022 geworden. Für uns ein erster, aber sehr wichtiger Schritt. Das Ziel einer 35-Stunden-Woche steht damit aber noch, weil mit 37 Stunden die notwendige Arbeitszeitverkürzung noch nicht erledigt ist.
Stephan: Auffallend ist, dass das Ergebnis in Form eines drei-Jahres-Abschlusses erzielt wurde. Sind mehrjährige Abschlüsse durchaus üblich? – Für uns ist das etwas Neues…
Andreas Laaber: Mehrjährige Abschlüsse sind durchaus nicht üblich. Das gibt es normalerweise nur bei Tabellenreformen (zB bei starker Anhebung des Mindestgehalts) oder eben Arbeitszeitverkürzung. Die Begründung liegt einfach gesagt in der Berechenbarkeit bzw. in notwendigen Systemumstellung. Denn es ist klar, dass ein solch gravierender Eingriff in die betrieblichen Abläufe erst einmal umgesetzt werden muss. Da reden wir noch nicht von der Frage nach Umsetzung der Finanzierung.
Josef: Die Verhandlungen des Caritas-Kollektivvertrages haben sich am längsten gezogen. Die SWÖ hat ihre Verhandlungen bereits im April abgeschlossen. Es entsteht der Eindruck, dass die Diakonie das SWÖ-Verhandlungsergebnis sehr rasch angenommen hat, während die Caritas sich schwer tat. Stimmt dieser Eindruck?
Andreas Laaber: Das stimmt definitiv. Der Druck auf das Verhandlungsteam bzw. die Betriebsratsgremien war zeitweise enorm. Man hatte lange den Eindruck, dass von Teilen der Arbeitgeberseite alles unternommen wird, um eine Arbeitszeitverkürzung zu verhindern oder hinauszuschieben. Das ging so weit, dass man plötzlich keinen Zusammenhang mehr mit den anderen großen Kollektivverträgen im privaten Sozialbereich sehen wollte. Es war verhandlungstechnisch wirklich harte Arbeit.
Stephan: Hat sich das zähe Ringen um den Caritas-Abschluss gelohnt? In wie weit und wodurch weicht unser Verhandlungsergebnis ab von jenem der Diakonie und der SWÖ?
Andreas Laaber: Das Ringen hat sich jedenfalls im Ergebnis gelohnt. Wir haben mit 2,7% Gehaltserhöhung nicht nur einen der besten Abschlüsse überhaupt für dieses Jahr erreicht, sondern dürften mit 0,6%-Punkten über der Inflation jedenfalls auch einen derbesten für nächstes Jahr gesetzt haben. Und um die Arbeitszeitverkürzung für 2022 beneiden uns sehr viele Branchen. Es war jedenfalls richtig, den Abschluss der Sozialwirtschaft abzuwarten, denn das Angebot der Caritas lag bis dahin weit darunter – in jedem Detail.
Darüber hinaus konnten wir für die Caritas mit Geltung der Arbeitszeitverkürzung folgende Erfolge erzielen:
- Mehrarbeitsstunden werden mit 30% bezuschlagt.
- Die Übertragungsmöglichkeit in den nächsten Durchrechnungszeitraum wird auf 37 Stunden gesenkt.
- Teilzeitbeschäftigte haben den Anspruch auf Höheranstellung, wenn sie durchgehend mehr als vereinbart arbeiten.
- Mehrleistungen werden klar definiert, ebenso die Befüllung des Stundenguthabens bei Übertragung in den nächsten Durchrechnungszeitraum.
- Die Forderung der AG nach 2 verschiedene Normalarbeitszeiten konnten wir in einen „persönlichen Anspruch auf Mehrarbeit“ umwandeln mit weitreichenden Absicherungen zugunsten der Arbeitnehmer*innen und mit starker Einbindung des Betriebsrates. In Betrieben ohne Betriebsrat für diesen persönlichen Anspruch wurden die Türen für die Gewerkschaft geöffnet.
Außerdem wurde noch klargestellt, wie die zusätzlichen Urlaubstage zu aliquotieren sind. Weitere Forderungen der AG wie Verlängerung des Durchrechnungszeitraums, Ausweitung der „Rucksackstunden“ etc. konnten wir verhindern.
Stephan: Auffallend sind die deutlichen Verbesserungen der Teilzeitarbeit die Arbeitgeber und Gewerkschaft im Rahmen der Caritas-KV-Verhandlungen vereinbart haben. Bitte gehe hierauf genauer ein.
Andreas Laaber: Dass der KV alle Mehrarbeitsstunden (bis zur 40. Wochenstunde) mit 30% bezuschlagt, ist selbst in gewerkschaftlichen Kreisen eine kleine Sensation. Auch besteht nun der Anspruch von Teilzeitkräften, dass sie ihre Stundenverpflichtung erhöhen können, wenn sie zuvor über einen längeren Zeitraum mehr als vereinbart gearbeitet haben. Das bringt mehr Einkommenssicherheit für Teilzeitbeschäftigte. Wichtig ist ebenfalls die Festsetzung, dass Stunden, die in den nächsten Zeitraum übertragen werden, Mehrarbeitsstunden sind, für die der Zuschlag nur dann entfällt, wenn sie abgebaut werden können. Das ist zwar für Wien nicht so relevant, aber für andere Diözesen sehr wohl.
Josef: Es war aus gewerkschaftlicher Sicht scheinbar ein Anliegen die von den Arbeitgebern vorgeschlage Wahlfreiheit zwischen zwei verschiedenen Normalarbeitszeiten (Anm.: Eine mit 37 Stunden und eine mit 38 Stunden) in einen persönlichen Anspruch auf Mehrarbeit umzuwandeln. Weshalb?
Andreas Laaber: Damit ist klar, dass 37 Wochenstunden die Normalität sind. Dabei wird nicht verboten, mehr als die 37 Stunden in der Woche zu arbeiten. Die 38. Stunde wird als Mehrarbeit definiert, die als solche grundsätzlich zu bezuschlagen ist. Nur, wer sich von vorneherein zu 38 Wochenstunden verpflichtet und damit monatlich ausbezahlt bekommt, verliert diesen Anspruch auf Zuschlag. Das kann aber einzig von der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer entschieden und beantragt werden. Wenn man sich nicht verpflichtet und dennoch 38 Stunden arbeiten muss, muss man am Ende der Durchrechnung den Zuschlag von 30% ausbezahlt bekommen.
Stephan: Viele Kolleg*innen sehen das Verhandlungsergebnis trotzdem kritisch. Sie verweisen darauf, dass nur eine Stunde an Arbeitszeitverkürzung errungen wurde. Was sagst du ihnen?
Andreas Laaber: Ich verstehe die Enttäuschung, aber da muss man die Umstände sehen. Die Covid-Pandemie hat alle Verhandlungs-Strategien und –Abläufe auf den Kopf gestellt. Ja, das Ziel der 35-Stunden-Woche wurde (noch) nicht erreicht, aber ein erster Schritt ist getan. Da sollte man den Erfolg sehen und nicht das nicht erreichte Ziel voranstellen. Das würde dem Erreichten nicht gerecht.
Josef: Im Rahmen dieser Verhandlungen hast du drei Betriebsversammlungen der Caritas-Wien besucht. Auch beim ersten Warnstreik in der Geschichte der Caritas-Kollektivvertragsverhandlungen warst du dabei. Wie hast du diese Veranstaltungen erlebt und wie wichtig war der Druck aus der Belegschaft für die Kollektivvertragsverhandlungen?
Andreas Laaber: Ich bin gerne in Begegnung mit denen, für die ich verhandeln darf. Und ich mag auch Diskussionen zu den Themen, denn sie bringen mir wichtige Rückmeldungen. Deshalb habe ich die Veranstaltungen sehr positiv erlebt. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass es unterschiedliche Zugangsweisen und Interpretationen gibt, das macht das Leben lebendig. Die Veranstaltungen und Aktionen waren immens wichtig, vor allem für die Bewusstseinsbildung der Belegschaft selbst, denn letztlich ist es sie selbst, um die es geht. Und mit Aktionen wird ihr die Möglichkeit gegeben, sich selbst einzubringen und auch ein Stück ihrer Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten. Und natürlich erzeugt so etwas auch Druck auf die Arbeitgeber, die ja gut dastehen wollen.
Stephan: Man kommt nicht umhin in diesen Tagen nach der Auswirkung der Corona-Pandemie zu fragen. Gab es diese Auswirkungen im Rahmen der Caritas-Kollektivvertragsverhandlungen?
Andreas Laaber: Die Pandemie machte die Verhandlungen sehr schwierig. Über Videokonferenzen können zwar gut Informationen ausgetauscht werden, aber ein Verhandlungsprozess ist ungestört nicht möglich, wenn man komplexe Dinge verhandelt. Hätten wir zuletzt wieder per Videokonferenz verhandelt, wären wir wahrscheinlich heute noch nicht fertig.
Stephan: Welches persönliche Fazit ziehst du nach mehr als einem halben Jahr laufender Caritas- Kollektivvertragsverhandlungen?
Andreas Laaber: Es war ein langer und streckenweise sehr mühsamer Weg, sicher für alle Beteiligten, aber das Ergebnis lässt die steinigen Teile vergessen. Letztlich hat sich der Weg gelohnt – ganz sicher.
Josef: Nach der Kollektivvertragsverhandlung ist vor der Kollektivvertragsverhandlung. Warum brauchen gerade wir in einer klassischen Frauenbranche und einem hinlänglich dokumentierten Einkommens-Gap zu klassischen Männerbranchen mehr Gewerkschaftsmitglieder?
Andreas Laaber: Wir haben gesehen, dass es für die Arbeitgeber nicht leichter wird, weil sie von öffentlichen Geldern abhängen. Wenn sie etwas von der Politik fordern, brauchen sie Argumente. Wenn die Gewerkschaft im Namen der Arbeitnehmer*innen spricht und damit Argumente liefert, hat das natürlich deutlich mehr Gewicht, wenn viele Mitglieder dahinter stehen. Ansonsten passiert es – wie auch bei diesen Verhandlungen gesehen –, dass die Arbeitgeber*nnen sich als die besseren Vertreter ihrer Beschäftigten sehen und dann behaupten, die Leute sind eh zufrieden und wollen gar keine Arbeitszeitverkürzung oder gerechtfertigte Zuschläge für Mehrleistungen.
Josef und Stephan: Wir danken dir für das Gespräch und deinen unermüdlichen Einsatz im Rahmen dieser Kollektivvertragsverhandlungen!
Andreas Laaber: Herzlichen Dank für euren Einsatz für eure Kolleg*innen!!!
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